Dies ist eine alte Version des Dokuments!


Orgelmusik

Orgel im Einsatz

Aufführungen


Letzte Aktualisierung: 31.10.2022, 16:35 Uhr

2019

Die Flentrop-Orgel in der Paul-Gerhardt-Kirche

Die Flentrop-Orgel (III, 37 Register, Pedal) der Paul-Gerhardt-Kirche (Foto: Uwe Pape, Berlin)

Die 1908–10 errichtete Paul-Gerhardt-Kirche erhielt noch vor ihrer Einweihung ein repräsentatives Instrument der Orgelbaufirma P. Furtwängler & Hammer aus Hannover mit 66 Registern auf drei Manualen und Pedal. Hierin sind die zahlreichen Spielhilfen wie Tremulant, Koppeln und Absteller nicht enthalten. In der Literatur wird vor allem das schöne Gehäuse im neobarocken Stil hervorgehoben, das auf sechs Säulen hoch über der Empore thronte. Auch die hier verwendete, aber im deutschen Orgelbau noch selten angewandte Elektrik zur Verbindung von Taste und Ventil war eine Besonderheit. Die Disposition dieses großen Instruments zeigte sowohl die Konsequenz des Prinzipalaufbaus von der 16'-Lage bis zu den Mixturen und Zungenstimmen als auch die Vielfalt der fein nuancierten 8'- und 4'-Stimmen einer großen symphonischen Orgel. Das Werk konnte mit vollem Recht als ein Höhepunkt der Orgelromantik in Berlin bezeichnet werden und stand den Instrumenten der Berliner Hauptkirchen in nichts nach.

Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und dem Neubau von Kirche und Gemeindezentrum hatten Gemeinde und Organist den verständlichen Wunsch, wieder ein besonders hochwertiges Instrument zu erhalten. Die Zeit der Romantik war vorüber, die Orgelbewegung seit den ersten Bemühungen von Albert Schweitzer, die in Norddeutschland seit den 30er Jahren ihren Niederschlag fanden, hatte auch den Orgelbau im Westen Berlins voll erfasst. Hier war der Orgelbau vor allem durch zwei Firmen bestimmt: die 1951 gegründete Berliner Orgelbauwerkstatt unter Leitung von Karl Schuke und die Ludwigsburger Firma E. F. Walcker & Cie, die zwar über eine über 100jährige Familientradition verfügte, aber vor allem Billigprodukte anbot und fast 40% aller neuen Orgeln in Westberlin bauen durfte. Während die qualitativ äußerst hochwertigen Werke der Firma von Karl Schuke heute noch stehen und das Bild des Orgelbaus in der Nachkriegszeit prägen, werden die Orgeln der Firma Walcker nach und nach abgerissen und veräußert.

Johannes Günther Kraner hatte sehr genaue Vorstellungen von einer neuen Orgel: Ein neues Instrument sollte qualitativ hochwertig sein, vergleichbar mit den Werken der Berliner Orgelbauwerkstatt, oder sogar besser, sollte sich aber als künstlerische Alternative von der Vielzahl und gewissen Gleichförmigkeit der Berliner Instrumente abheben. Er konnte die Schöneberger Gemeinde überzeugen, die Firma Dirk Andries Flentrop in Zaandam in der Nähe von Amsterdam um ein Angebot zu bitten und diesem Unternehmen schließlich den Auftrag zu erteilen, sollte doch eine Orgel „ganz eigener Art in Ausführung und Klanggestaltung“ geschaffen werden.

Das niederländische Unternehmen wurde 1903 als ein Klavier- und Orgelgeschäft von Hendrik Wicher Flentrop (1866–1950) gegründet. Anlass war seine Unzufriedenheit mit dem Klangresultat eines tiefgreifenden Umbaus der Orgel der Westzijderkerk in Zaandam, wo er seit 1893 Organist war. In den ersten Jahrzehnten wurden außer Instandhaltungsarbeiten viele Umbauten und Erweiterungen von Orgeln ausgeführt. 1915 wurde die erste neu gebaute Orgel ausgeliefert. 1922 wurden die ersten Kontakte mit Albert Schweizer aufgenommen und H. W. Flentrop und sein Sohn Dirk Andries Flentrop eigneten sich die Ideen der Orgelbewegung an. War anfangs die Aufmerksamkeit besonders auf Disposition und Intonation gerichtet, um das in das Bewusstsein gekommene historische Klangideal zu erreichen, drang jetzt auch die Einsicht durch, dass die mechanische Traktur und die Schleiflade bedeutungsvoll sind. Schon 1943 entschied man sich für die klassische, mechanische Orgel als Ausgangspunkt für neue Instrumente.

Nach dem Ende des Weltkriegs übernahm Dirk Andries Flentrop (1910-2003) die Geschäftsführung und wurde bald durch großartige Neubauten und maßstabsetzende Restaurierungen (z.B. Zwolle, 1963) als ein weit geachteter Orgelbaumeister bekannt. Zu seinen Werken in Deutschland gehören auch die beiden Orgeln in Lingen (Kreuzkirche, 1959) und Wolfsburg (Heilig-Geist-Kirche, 1965). Die neue Kirche in Schöneberg mit ihrer künstlerischen Ausstattung und materialgerechten Oberflächen aus Spritz- und Schalbeton mit Holz und Glas forderte geradezu eine außergewöhnliche Gestaltung für ein Instrument mit asymmetrischem Aufbau und warmen Kupferpfeifen im Prospekt. Diese Gegebenheiten und die glücklicherweise günstige Situation für eine Orgel mit der erforderlichen Höhe waren günstige Voraussetzungen für einen Neubau. Sie waren zugleich eine Herausforderung für den Erbauer, der nur wenige Betriebe in den 60er Jahren gewachsen waren. Die Firma D. A. Flentrop gestaltete und erbaute unter Mitwirkung des Organisten Johannes Günther Kraner ein Instrument mit 37 Registern auf drei Manualen und Pedal. Dieses Werk, das seit 1965 nur geringfügig überholt wurde, gehört bis heute zu den schönsten und wichtigsten Orgeln der Stadt. Kreativität, handwerkliches Können und beste Materialien gehören wie 1965 auch heute noch zu den Merkmalen des niederländischen Unternehmens. Zur Zeit wird unter anderem die 1943 vernichtete Orgel der Katharinen-Kirche in Hamburg rekonstruiert – ein über vier Jahre laufendes Projekt. Ein Blick auf die Homepage der Firma vermittelt einen guten Eindruck über Neubauten, Restaurierungen und auch Visionen im gegenwärtigen Orgelbau.

Uwe Pape

Quellen:

  • Arthur Egidi: Die elektropneumatische Orgel der Paul-Gerhardt-Kirche zu Berlin Schöneberg, Zeitschrift für Instrumentenbau, 1912/13, S. 622-626.
  • Johannes Günther Kraner: Von der Idee zur Vollendung. In: Festschrift zur Einweihung der Orgel in der Paul-Gerhardt-Kirche Berlin. 1966. http://www.flentrop.nl.
  • Eigene Aufzeichnungen.